Stellen Sie sich vor, Sie tauchen in die erdrückenden Tiefen des Ozeans ein, wo Sonnenlicht nur noch eine ferne Erinnerung ist und Leben unmöglich erscheint. In atemberaubenden 8.100 Metern Tiefe, in der unerbittlichen Dunkelheit des Atacamagrabens, sind Wissenschaftler auf ein so außerirdisches Wesen gestoßen, dass es wie aus einem Science-Fiction-Film entsprungen wirkt.
Da über 95 % der Ozeane der Erde noch unerforscht sind, dient der Atacamagraben als Tor zur Abgrundtiefe und beherbergt Lebensformen, die unser Verständnis von Biologie und Überleben auf die Probe stellen. Doch was macht diese Kreatur, die „Dunkelheit“ genannt wird, so beunruhigend? Ihre Existenz widerspricht unserer Vorstellung unter solch extremen, unwirtlichen Bedingungen. Welche Geheimnisse birgt diese Kreatur über das Leben in den entlegensten Winkeln unserer Welt – und vielleicht darüber hinaus?
Auf den ersten Blick könnte man Dulcibella camanchaca – treffend „Dunkelheit“ genannt – eher für einen Bösewicht aus einem Science-Fiction-Epos halten als für ein Lebewesen aus den Ozeanen der Erde. Diese neu identifizierte Art ist ein großer, aktiver Raubflohkrebs, der nicht nur durch sein beunruhigendes Aussehen, sondern auch durch sein Überleben in einer der extremsten Umgebungen der Erde beeindruckt. Entdeckt wurde er in einer atemberaubenden Tiefe von 8.100 Metern im Atacama-Graben. Die Bedingungen hier sind nahezu unwirtlich, und Dunkelheit umgibt jede seiner Bewegungen.
„Dulcibella camanchaca ist ein schnell schwimmendes Raubtier, dessen Name in den Andensprachen nach dem Wort ‚Dunkelheit‘ benannt ist – eine Hommage an den tiefen, dunklen Ozean, in dem er jagt“, erklärte Dr. Johanna Weston, Hadalökologin am Woods Hole Oceanographic Institution (WHOI). Sein Name spiegelt nicht nur seinen Lebensraum wider, sondern auch seine schwer fassbare Natur: Er lauert in einer Region, die selten von Menschen besucht oder vom Sonnenlicht erhellt wird.
Dieses fast vier Zentimeter lange Lebewesen nutzt spezielle Greiforgane, um kleinere Flohkrebsarten zu fangen und zu verzehren. Es gedeiht in den nährstoffarmen, aber artenreichen Gewässern des Atacamagrabens. Die Anpassungen von „Darkness“ an seinen extremen Lebensraum sind geradezu außergewöhnlich. Sein stromlinienförmiger Körper und sein heimliches Verhalten ermöglichen es ihm, den enormen Druck der Hadalzone zu bewältigen, wo der Luftdruck über 1.100-mal höher ist als auf Meereshöhe.
Bild über Johanna Weston, ©Woods Hole Oceanographic Institution
Darüber hinaus haben DNA- und morphologische Analysen ergeben, dass es sich bei dieser Art nicht nur um eine Neuentdeckung, sondern auch um eine neue Gattung handelt, was den Atacamagraben als endemischen Hotspot für einzigartige Tiefseelebensformen unterstreicht.
Die Beobachtung von „Darkness“ bietet einen beispiellosen Einblick in die einzigartigen evolutionären Strategien, die das Leben nutzt, um unter den härtesten Bedingungen unseres Planeten zu überleben. Forscher des WHOI und des Instituto Milenio de Oceanografía (IMO) an der Universidad de Concepción in Chile erforschen dieses faszinierende Lebewesen weiter und hoffen, weitere Geheimnisse der ökologischen Dynamik der Tiefsee zu lüften.
Im Jahr 2023 machte die Expedition des Integrated Deep-Ocean Observing System (IDOOS) an Bord der R/V Abate Molina unter der Leitung des Instituto Milenio de Oceanografía (IMO) bedeutende Entdeckungen im Atacamagraben. Wissenschaftler sammelten vier Exemplare der Art Dulcibella camanchaca in einer Tiefe von 7.902 Metern mithilfe eines Landefahrzeugs – einer ungebundenen Plattform, die mit wissenschaftlicher Ausrüstung, darunter auch Köderfallen, ausgestattet war. Nach der sicheren Rückführung zum Schiff wurden diese Flohkrebse sorgfältigen morphologischen und genetischen Analysen unterzogen, die die Rolle des Grabens für neue wissenschaftliche Entdeckungen unterstrichen.
Bild über Felipe Gamonal/Partnership for Observation of the Global Ocean
Der Atacamagraben erstreckt sich entlang der Westküste Südamerikas über den östlichen Südpazifik und stellt eine der letzten Grenzen der Meeresforschung der Erde dar. Dieser auch als Peru-Chile-Graben bekannte Unterwasser-Canyon erstreckt sich fast 8.065 Meter unter der Oberfläche in den Richardstief und ist damit einer der tiefsten Punkte der Erde. Der Graben ist etwa 5.900 km lang und erstreckt sich über eine Fläche von rund 590.000 Quadratkilometern. Er zeigt eine komplexe Umgebung, in der eisige Temperaturen, enormer Druck und ewige Dunkelheit herrschen.
Trotz dieser extremen Bedingungen ist der Graben keine öde Leere, sondern ein lebendiger Lebensraum voller Leben, wie die Entdeckung des räuberischen Flohkrebses Dulcibella camanchaca zeigt. „Die gemeinschaftliche Arbeit und der integrative Ansatz dieser Studie bestätigten nicht nur Dulcibella camanchaca als neue Art, sondern unterstrichen auch die reiche Artenvielfalt des Atacama-Grabens“, bemerkte Dr. Carolina González, Ozeanographin an der Universidad de Concepción und Co-Leitautorin der Studie.
Das einzigartige Ökosystem des Grabens liegt unter nährstoffreichen und hochproduktiven Oberflächengewässern, ist jedoch geografisch von anderen Hadalgebieten isoliert. Diese Isolation hat eine besondere Gemeinschaft einheimischer Arten hervorgebracht, die an ein nahrungsarmes Gebiet angepasst sind, in dem Ressourcen knapp sind, die ökologischen Nischen jedoch mit spezialisierten Organismen besetzt sind.
Der Peru-Chile-Graben, der durch die Subduktion der Nazca-Platte unter die Südamerikanische Platte entstanden ist, ist auch ein Ort aktiven Vulkanismus und komplexer geologischer Aktivität. Untersuchungen der Grabensedimente – bestehend aus Schichten von Turbiditen, Tonen, Vulkanasche und silikatischen Schlämmen mit Spuren von Karbonaten und Metallen – geben Einblicke in die dynamischen Prozesse, die diese Unterwasserlandschaft prägen.
Was den Atacamagraben so faszinierend macht, ist das geringe Wissen über seine Tiefen und die Weltmeere insgesamt. Wissenschaftler schätzen, dass über 95 % der Weltmeere unerforscht sind, und Gräben wie der Atacamagraben gehören zu den am wenigsten erforschten Gebieten. „Weitere Entdeckungen werden erwartet“, fuhr Dr. González fort und verwies auf das grenzenlose Potenzial der Tiefseeforschung.
Die Entdeckung von Dulcibella camanchaca ist nicht nur ein Erfolg für die Wissenschaft – sie ermöglicht auch einen Blick in die unberührten Winkel unseres Planeten. Fast 8.000 Meter unter der Meeresoberfläche gedeiht dieses Raubtier in einer Umgebung, die die meisten für leblos halten würden. Doch was bedeutet das für die Neugierigen unter uns?
Zum einen erinnert es uns daran, wie viel wir noch über die Erde nicht wissen. Wenn Lebewesen wie „Dunkelheit“ unter solch extremen Bedingungen existieren können, welche anderen Lebensformen verbergen sich dann in den Tiefen der Tiefe? Der Atacamagraben, in dem diese Art gefunden wurde, stellt nur einen Bruchteil der riesigen, noch unerforschten Meerestiefen dar. Jede Entdeckung hier fühlt sich an, als würde man ein neues Kapitel in einem Buch aufschlagen, das wir kaum aufgeschlagen haben.
Doch „Darkness“ deutet auch auf Überlebensstrategien hin, die zukünftige Innovationen inspirieren könnten. Sein stromlinienförmiger Körper und seine Fähigkeit, in unermesslichen Tiefen zu navigieren, könnten zu neuen Designs für Unterwasserroboter oder sogar Raumfahrzeuge führen, die ähnliche Bedingungen auf anderen Planeten erforschen. Und für alle, die vom Unbekannten fasziniert sind, wirft es eine quälende Frage auf: Wenn dieses Lebewesen in völliger Isolation und Dunkelheit überleben kann, was könnte dann an Orten existieren, an die wir uns bisher nicht zu wagen wagten – weder auf der Erde noch anderswo?
Die Entdeckung von „Darkness“ ist erst der Anfang einer bahnbrechenden Erforschung der tiefsten Tiefen der Erde. Dank fortschrittlicher Technologien wie ferngesteuerten Fahrzeugen und hochauflösenden Bildgebungssystemen sind Wissenschaftler heute besser denn je gerüstet, die Geheimnisse des Atacamagrabens und darüber hinaus zu lüften. Doch wie Carolina González, Co-Leitautorin der Studie, anmerkt: „Es werden weitere Entdeckungen erwartet“, was auf die verlockenden Möglichkeiten hindeutet, die vor uns liegen.
Diese laufende Expedition wird voraussichtlich weit mehr als nur neue Arten zutage fördern. Jede Entdeckung hilft den Forschern, ein umfassenderes Bild davon zu gewinnen, wie sich das Leben in den extremsten Umgebungen der Erde entwickelt. Diese Erkenntnisse erweitern nicht nur unser Verständnis der Biodiversität, sondern unterstützen auch die weltweiten Bemühungen zum Schutz fragiler Tiefsee-Ökosysteme.
Für die Leser mögen die nächsten Schritte dieser Erkundung wie ein Aufruf zum Handeln erscheinen. Da so große Teile des Ozeans noch unerforscht sind, besteht ein unbestreitbares Gefühl der Dringlichkeit, diese Lebensräume zu schützen, bevor sie unwiderruflich verändert werden. Während Wissenschaftler tiefer in die Tiefen vordringen, entdecken sie nicht nur neue Lebewesen – sie bringen auch Geschichten von Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit ans Licht, die weit über die Grenzen hinauswirken. Was könnte sonst noch in den unerforschten Tiefen lauern, und wie werden diese Entdeckungen unser Verständnis unseres Heimatplaneten prägen?